Barnaba Fornasetti hat sein Haus in ein magisches Museum für seinen Vater Piero verwandelt. Hier bewahrt er das Erbe des Mailänder Künstlers und setzt dessen Werk fort, das sogar Louis-Vuitton-Designer Nicolas Ghesquière zu seiner aktuellen Kollektion inspirierte.
Farben, Stoffe, Bilder, Bücher, Kunstobjekte: Wer durch die auf vier Etagen verteilten privaten Gemächer von Barnaba Fornasetti geht, weiß kaum, wohin er zuerst schauen soll -und kann sich zugleich nicht sattsehen an der visuellen Reizüberflutung. Das geht auch dem Hausherrn so: »Es sind so viele Objekte, ich finde jeden Tag ein neues Lieblingsstück -manchmal sogar mehrere an einem Tag«, erklärt der Sohn von Piero Fornasetti (1913-1988). Oft verliebe er sich auch in neue Stücke aus der Designschmiede. Sein Lieblingszimmer kann er jedoch klar benennen: das grüne Musikzimmer. »Dort fühle ich mich am wohlsten. Ich kann mich in diesem Raum durch meine Leidenschaft für Musik ausdrücken; es macht mir Spaß, zu experimentieren und bei Partys an der DJ-Station Musik für meine Freunde zu mixen«, so Fornasetti.
FANTASTISCHE FARBWELTEN
Auch die anderen Räume seines Elternhauses hat Fornasetti in kräftige Farben getaucht -jeder erstrahlt in schwelgerischer Pracht. Das gelbe Arbeitszimmer schmücken einige Antiquitäten seines Vaters, etwa eine Jugendstilbank und das Biedermeierglas der Fenster; ansonsten dominieren Pieros eigene Entwürfe den Raum, von der Tapete bis zu den Textilien. Spektakulär wirkt auch der rote Raum, ein Gästezimmer, das einem Pendant in der Ferienvilla der Familie am Comer See nachempfunden ist: Wände, Nachttisch, Lampe, Textilien, selbst die Dekorationsobjekte -alles hier leuchtet rot, sogar die Bücherrücken im Regal, deren Titel ebenfalls das Leitmotiv spiegeln, von Hawthornes »Der scharlachrote Buchstabe« bis zu Stendhals »Rot und Schwarz«.
GRENZENLOSER SCHAFFENSDRANG
In allen Räumen finden sich die ikonischen Motive des Malers, Grafikers, Bildhauers und Innenarchitekten Piero Fornasetti, die sich ins kollektive Unterbewusstsein eingebrannt haben: Sonnen, Monde, Luftschiffe nach alten Skizzen -und immer wieder sein Markenzeichen, das Gesicht der Opernsängerin Lina Cavalieri. Mit ihnen machte er aus Alltagsgegenständen Kunstwerke, er übertrug sie auf Geschirr, Möbel und Tapeten. »Mein Vater war ein Pionier und als Künstler völlig frei. Seine Unabhängigkeit und seine kreative Einsamkeit erlaubten es ihm, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen und ständig Neues zu schaffen«, erklärt Barnaba Fornasetti. »Er ließ sich in seiner Inspiration und seinem Schaffensdrang durch nichts einschränken.«
Die ungeheuer detailreiche Tapete »Gerusalemme« im Treppenhaus entwarf Piero Fornasetti 1949, im Jahr nach der Gründung Israels (links). Blick in die Bibliothek (mitte). Ein Raum sieht rot (rechts): Im Vordergrund lacht die Sonne auf Fornasettis Nachttisch »Sole«. Er stammt aus den 1950ern und ist bedruckt und von Hand lackiert.
VERWURZELT IM NORDOSTEN MAILANDS
All das geschah in dem äußerlich unscheinbaren Haus im Mailänder Stadtteil Città Studi, in dem Barnaba aufwuchs und noch heute lebt. Ende des 19. Jahrhunderts erwarb sein Großvater den Bau. Piero Fornasetti wurde hier geboren; in diesem Haus baute er die Marke auf und lebte mit seiner Frau Giulia. In den zur Straße gelegenen Räumen hatte er seine Werkstatt und seine Druckerei. Heute befindet sich hier das Atelier, in dem neue Entwürfe entstehen und Neuauflagen vorbereitet werden. Barnaba Fornasetti kam 1950 in der Casa Fornasetti zur Welt. Früh zeigte sich, dass er den ästhetischen Blick des Vaters geerbt hatte: Als Dreijähriger präsentierte er Piero ein Gänseblümchen auf dem Blatt einer Hortensie, das der Vater sofort als Motiv für das Design eines Tabletts verwendete. Obwohl Vater und Sohn die Liebe zur Kunst und ausgeprägte Kreativität verbanden, ging Barnaba beruflich zunächst eigene Wege: Er studierte an der Kunstakademie, arbeitete für den Designer Ken Scott und im Verlagshaus Mondadori und zog schließlich in die Toskana, wo er alte Bauernhöfe restaurierte. 1982 kehrte Barnaba nach Mailand zurück, als der Vater in einer Schaffenskrise um seine Hilfe bat. Fortan arbeiteten Vater und Sohn Seite an Seite. Als Piero Fornasetti 1988 starb, übernahm Barnaba das Familienunternehmen, dessen Ruf als eine der wichtigsten italienischen Adressen für höchste Handwerkskunst und Qualität er weiter gefestigt hat.
INSPIRATION FÜR LOUIS VUITTON
Barnabas Ideal ist es, die Grenzen zwischen Design, angewandter Kunst und anderen Sparten zu überschreiten. Davon zeugt sein Haus ebenso wie die Tatsache, dass er und Nicolas Ghesquière, Kreativdirektor der Damenkollektionen von Louis Vuitton, für die aktuelle Winterkollektion in einen schöpferischen Dialog traten.
»Es war die Idee von Nicolas Ghesquière«, erzählt Fornasetti. »Er war im Louvre, als ihm klar wurde, dass Fornasetti die visuelle und thematische Brücke zwischen seiner Herbst-Winter- Kollektion und ihrem Präsentationsort bilden könnte« – denn Ghesquière wollte seine Kollektion in dem Pariser Museum vorführen. Die Chemie zwischen den beiden stimmte sofort. Fornasetti öffnete die Archive, in denen der Modedesigner Inspiration suchte und fand – besonders in den Drucken mit Motiven aus der Antike. »Meiner Erfahrung nach funktioniert so etwas am besten, wenn man einen kreativen Austausch herstellt, in dem es am Ende schwierig wird, die Zwischenschritte zu rekonstruieren, die zum Ergebnis führten«, sagt Fornasetti. »Man konzentriert sich auf den Prozess und das Ziel und nicht darauf, was man selbst beiträgt oder welche Technik man angewendet hat.« Genau so sei es bei der Kooperation gewesen, als sich die Kreativität und Handwerkskunst des Hauses Louis Vuitton mit der kunstvoll illustrierten Welt von Fornasetti verbanden. Wie geplant wurde das Ergebnis im Michelangelo-und im Daru-Saal des Louvre präsentiert -neue Mode unter alten Meistern. Ein Museum voller meisterlicher Werke ist auch die Casa Fornasetti: Barnaba bewahrt nicht nur das künstlerische Erbe seines Vaters, er setzt im Atelier auch um, was er von ihm gelernt hat. »Eines der wichtigsten Dinge, die mein Vater mir vermittelt hat, ist der Wert der Gedankenfreiheit«, erklärt er. Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit von herrschenden Trends seien das Wichtigste, in der Kunst wie im Leben: »Mein Vater fand überall Inspiration, er bewegte sich außerhalb der Grenzen des Gewöhnlichen; er kümmerte sich nicht um künstlerische Strömungen und die Stimmigkeit von Daten, Epochen und Kreativität.« So schuf Piero Fornasetti sein eigenes Universum.
Die Verfremdung und Variation von Drucken gehörte zu Fornasettis charakteristischen Techniken. Der Musikraum (links) beherbergt Barnabas CD-und Plattensammlung. Fast alle Spiegel im grünen Wohnzimmer (mitte) stammen von Fornasetti. Das Chesterfield-Sofa und die Kissen sind mit Stoffen von Fornasetti bezogen.