Wüstenkleidung trifft auf Beach Life: Mit der Cruise Collection vor der monumentalen Kulisse des Salk Institute in San Diego brachte Kreativdirektor Nicolas Ghesquière Archaisches mit Futuristischem zusammen.
Wenn die Abendsonne über dem Salk Institute untergeht, sieht es ein wenig so aus, als würde sie Beton in Gold verwandeln. Die zwei langen, sich spiegelgleich gegenüberstehenden Gebäudekomplexe leuchten dann in einem warmen Orangeton. Der Platz aus Travertin, der sie voneinander trennt, wirkt weich wie Wüstensand und in der Wasserrinne, die ihn durchzieht, glitzert ein schmaler Fluss wie ein Ölstreifen in der Sonne.
Manche Accessoires sind großes Kino, etwa die futuristisch anmutenden Sneakers oder silberne, an Maschinenhände erinnernde Manschetten. Rechts Supermodel Miranda Kerr.
Ikonischer Bau
Das Salk Institute for Biological Studies ist eine Forschungseinrichtung in La Jolla, einem Stadtteil von San Diego. Der Komplex gilt als Pilgerstätte für Architekturfans und eigentlich scheint es schwer vorstellbar, dass man hier ab 17 Uhr noch irgendwelche Arbeiten zustande bringt – zu stark ist die Anziehungskraft der Sonne, deren Lichtachse den Platz ab dieser Zeit durchschneidet wie eine Rasierklinge, zu atemberaubend der Blick auf den Pazifik, der dem brutalistischen Gebäudekomplex direkt zu Füßen liegt. Der Architekt Louis Isadore Kahn, der den Campus 1963 fertigstellte, sah die umliegende Schönheit jedoch nicht als Ablenkung für die hellen Köpfe, die in seinem Werk arbeiten würden, sondern als motivierendes Element, das ihnen dabei helfen könnte, ihr Bestes zu geben. Und so legte er großen Wert darauf, dass Licht und Luft das Innere des Instituts ebenso erhellen würden wie das Äußere. Dicke Glaspaneele an den Außenwänden sorgen dafür, dass die dahinter befindenden Labore mit Licht durchflutet werden, einzelne Studien- und Büroräume stechen an der Fassade mit einer Verkleidung aus Teakholz heraus. Auf die Bepflanzung des Hauptplatzes verzichtete Kahn, nachdem er den berühmten mexikanischen Architekten Luis Barragán konsultiert hatte. Dieser sagte ihm, er solle kein einziges Blatt auf den hellen Steinboden fallen lassen. »Auf diese Weise erschaffst du eine Fassade zum Himmel«, sagte Barragán.
Tempel der Wissenschaft
Der Himmel, das Wasser, die Sonne – all diese Naturelemente fühlten sich sehr nah an, als Louis Vuitton im Mai zu seiner Cruise-Modenschau im Salk Institute einlud. Das Forschungsinstitut wurde vom Entwickler des ersten effektiven und sicheren Polio-Impfstoffs, Jonas Salk, ins Leben gerufen, der das Projekt bei Kahn in Auftrag gab. Bis heute forschen hier um die 50 Wissenschaftler zu den unterschiedlichsten biomedizinischen Themenbereichen wie Krebs, Alter, Immunologie oder Pflanzenbiologie. »Es ist kein Ort für Modedesigner«, sagte Nicolas Ghesquière lachend während eines Backstage-Interviews kurz nach der Show. Vor drei Jahren sei er aus privaten Gründen hergekommen und habe das Salk Institute entdeckt. Zugang zum Campus bekam er nicht, doch dieser besondere Ort ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. »Und als es um die Frage ging, wo wir die nächste Cruise-Schau veranstalten sollten, war mir sofort klar, dass ich es hier versuchen wollte«, so der französische Designer.
Augenfällige Baukunst
Für Louis Vuitton gehört die Wahl architektonischer Meisterwerke als Locations für Cruise-Schauen zur Tradition – das Label hat schon ins von Oscar Niemeyer konzipierte Niterói-Museum nach Rio de Janeiro geladen, ins Bob-Hope-Anwesen, erbaut vom Architekten John Lautner, in Palm Springs, oder ins Miho Museum in Kioto. Der spektakuläre Rahmen ist ein wichtiges Element jeder Louis-Vuitton-Cruise-Show; alle diese Präsentationen wollen den klassischen Schauenkalender um einen einzigartigen Moment bereichern, an dem eine Marke (die es sich leisten kann) für sich alleine glänzen darf. 650 Gäste reisten in diesem Fall hierfür nach San Diego, darunter Celebritys wie die Schauspielerinnen Emma Roberts, Ana de Armas oder Léa Seydoux.
Unter den 650 Gästen konnte Kreativdirektor Nicolas Ghesquière auch etliche Celebritys begrüßen, etwa die Schauspielerinnen Chloë Grace Moretz und Léa Seydoux – im Bild mit Louis-Vuitton-Vizechefin Delphine Arnault (v. li.).
Für Ghesquière hatte die Wahl des Salk Institute auch eine symbolische Bedeutung. »Die Menschen hier arbeiten daran, unsere Zukunft zu verbessern«, sagt er. »Natürlich mache auch ich mir sehr viele Sorgen um die Zukunft, vor allem mit Blick auf den Klimawandel. Aber ich möchte optimistisch bleiben, und das hier ist einer der Orte, von dem positive Veränderungen ausgehen können.«
Wie genau diese aussehen könnten, weiß kein Modedesigner vorherzusagen. Doch auch, wenn Ghesquière kein Orakel ist, so setzte er sich doch mit der Idee einer weisen, allwissenden Macht auseinander. Sie inspirierte die ersten drei Looks aus der Kollektion: bodenlange, an Umhänge erinnernde Kleider aus einem schimmernden Jacquardstoff. Dass die Show mit so spirituell anmutenden und opulenten Entwürfen begann, überraschte, doch die Kollektion insgesamt entzog sich den klassischen Vorstellungen einer Cruise-Saison, die normalerweise möglichst tragbare und zugängliche Kleidung in den Mittelpunkt stellt. Ghesquière dagegen wagte sich an eine Ästhetik, die die weiten Schnitte und natürlichen Materialien der Gewänder von Wüstennomaden mit den knalligen Farben der kalifornischen Surfkultur verband. »Wüstenkleidung trifft auf Beach Life«, so beschrieb es der Designer. Aufgebauschte, bloomersartige Hosen wurden zu strukturierten, die Schultern betonenden Tops kombiniert, Leinen wurde wie eine Tunika um Schultern, Hals und Kopf drapiert und gewickelt; Metallic-Effekte in Silber, Kupfer und Gold sollten das Lichtspiel der Sonne widerspiegeln, während neutrale Erdtöne die Farben einer Wüstenlandschaft vor das geistige Auge holten und Bikerjacken mit knallig bunten Prints von Jetskis und technischer Sportswear inspiriert waren. Manche Looks hätten auch als accessoiresreiche Großstadtversion der Kostüme aus
dem Blockbuster »Dune« von Denis Villeneuve durchgehen können – ein Effekt, der durch futuristisch anmutende Sneakers oder silberne, an Maschinenhände erinnernde Manschetten noch verstärkt wurde.
Grosses Kino
Hollywood ist schließlich nicht weit, und in gewisser Weise erforderte die filmtaugliche Kulisse eine Kollektion, die eine eigene starke Geschichte zu erzählen hat. Der Schauenkalender wiederum erfordert, dass diese schnell entsteht – Ghesquière stellte die Kollektion in den Wochen nach der Ready-to-wear-Show im März fertig. »Bei einer ›reisenden Kollektion‹ wie der Cruise finde ich es wichtig, dass man das Beste vorzeigt, das unser Savoir-faire liefern kann«, so der Designer. Das waren in diesem Fall vor allem Materialien, die wie Hightech-Stoffe aussehen, aber in Wahrheit natürlichen Ursprungs sind – Seide, Wolle oder Baumwolle. Manche Stücke waren mit metallischen Stickereien verziert, die mit der Zeit oxidieren und ihre Farbe verändern.Die Wasserrinne, die den Platz teilt und im Ozean mündet, wurde von Barragán einst »River of Life« getauft: Der »Fluss des Lebens« sollte den Strom aus Entdeckungen symbolisieren, die aus den Forschungslaboren ins allgemeine Wissen übergehen, das vom Ozean repräsentiert wird. Ghesquière wiederum bezeichnete die Sonne als »Ehrengast des Abends« – diese hat auch ihn längst um den Finger gewickelt: Der Franzose, der während der Pandemie besonders viel Zeit in Malibu verbrachte, hat ein Haus in den Hollywood Hills gekauft. Und für seinen Arbeitgeber ist die Gegend um La Jolla nicht nur wegen ihrer architektonischen Schätze oder der Landschaften attraktiv: dieser Stadtteil zählt zu den wohlhabendsten Orten in Kalifornien, erst im April eröffnete das Label hier einen zweiten Store. Wie es inzwischen üblich ist, hatte Louis Vuitton neben Presse und Celebritys auch zahlreiche Kunden eingeladen. Auf die Show folgte eine Party im Museum of Contemporary Art San Diego in La Jolla, bei der die Musikerin Grimes als DJane auftrat. Hunderte Gäste tanzten unter Palmen, die von Scheinwerfern angestrahlt wurden – die Sonne war zu dem Zeitpunkt längst untergegangen …